Erinnerungskultur

„Den Opfern des Nationalsozialismus eine Stimme geben“

Gedenkarbeit am Immanuel-Kant-Gymnasium in Pirmasens

Zum ersten Mal nahmen auf Einladung des Stadtarchivs Schülerinnen und Schüler an der jährlich stattfindenden Veranstaltung des 9. November teil – eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus, die Zerstörung der Pirmasenser Synagoge durch Brandstiftung und die Verschleppung jüdischer Familien aus Pirmasens. Oberbürgermeister Markus Zwick legte – gemeinsam mit Pfarrer Wolfdietrich Rasp – zum Gedenken an die Opfer einen Kranz an der Mahntafel in der Synagogengasse nieder. Außerdem wurde vom Arbeitskreis „Geschichte der Juden in Pirmasens“ ein Brief von Paul Strauss vorgelesen. Die Jugendlichen trugen kurze Texte vor, die sie in Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus, Holocaust und den aktuellen Bezügen (Rechtsextremismus) verfasst haben. Außerdem lasen sie Berichte von ausgewählten Zeitzeugen vor, die während des Unterrichts und ihm Rahmen des Projekts im letzten Schuljahr bearbeitet wurden. Das Thema hat sie sehr bewegt. 

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Gedenkarbeit hat schon seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert am Immanuel-Kant-Gymnasium. In Kooperation mit der Stadt Pirmasens und dem Arbeitskreis fanden regelmäßig geführte Rundgänge zum jüdischen Leben in Pirmasens, aber auch Quellenarbeit zum Schicksal von jüdischen Familien im Stadtarchiv statt. Mehrfach fanden auch Fahrten in die Gedenkstätte Struthof im Elsass statt, wo die Schicksale der Inhaftierten auf eine sehr eindrückliche Weise nachvollziehbar wurden. „Die Fahrt nach Struthof war sehr beeindruckend, man konnte sich auf einmal in die schreckliche Situation der KZ-Häftlinge einfühlen, wenn man an diesem Ort gewesen ist. Das hat geholfen, dem Ganzen eine Stimme zu geben,“ so eine Schülerin rückblickend. Vor Ort haben die Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen einen selbstgeführten Rundgang unternommen, bei dem an den einzelnen Stationen Berichte des Zeitzeugen Berthold Barkels (Berichte entnommen aus dem Buch „Nacht und Nebel“) verlesen wurden. Mit Hilfe dieser Textekonnten sie einen möglichst genauen Eindruck von dem Leben im Lager erhalten. Nach Aussagen der Schüler*innen schockierte sie hierbei besonders der Kontrast zwischen der idyllischen Lage des Lagers – ein ehemaliger Urlaubsort – und den schrecklichen Geschehnissen dort. Wegen der geringsten Vorfälle wurden die Häftlinge gefoltert oder sogar gleich erschossen. Die Todesrate dort war extrem hoch. „Etwas mit eigenen Augen sehen, ist doch noch einmal ganz anders als in der Theorie. Wir standen entsetzt vor dem Ofen des Krematoriums, vor dem Prügelbock und der Aschegrube. Der Galgen hat uns am meisten erschüttert,“ so der Kommentar einer Schülerin.

„Wir haben die Pflicht, das alles nicht zu vergessen“, bemerkt dazu das Bildungsministerium – daher auch die Verankerung im schulischen Lehrplan, der dazu auffordert, dass alle Schülerinnen und Schüler mindestens ein Mal in ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte besuchen sollen, der sich mit der Geschichte politischer Gewaltherrschaft auseinandersetzt. Dieser Forderung trägt das Konzept der Erinnerungskultur am Immanuel-Kant-Gymnasium Pirmasens Rechnung. Die Gedenkarbeit ist aber auch im Rahmen der politischen Bildung zu sehen. So werden folgende Kernthemen sichtbar: Bedeutung der Menschenrechte, Rechte von Minderheiten, die Gewaltentrennung im Staat, Aufklärung gegen Rassismus und Antisemitismus, Medien und Propaganda, die Bedeutung von Zivilcourage für eine demokratische Gesellschaft und letztlich die Bedeutung der Erinnerungskultur für die Zukunft. Im Verlauf der Beschäftigung stellten die Schülerinnen und Schüler selbst Bezüge zur aktuellen politischen Parteienlandschaft (genauer gesagt zu Aussagen von AfD Politikern über die NS-Vergangenheit und der Flüchtlingspolitik heute), aber auch zu antisemitischen Anschlägen her. „Der Gedenkarbeit kommt ein hoher Stellenwert zu, da die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit dazu beitragen soll, dass sich die Geschichte nicht wiederholt,“ betont die Geschichtslehrerin Laura Hallauer. Die Schülerinnen und Schüler können den hohen Stellenwert der Menschenrechte sowie demokratischer Regierungsformen in ihrem Denken verankern.“ 

In diesem Schuljahr wurde ein größeres Gesamtkonzept erstellt. So fanden vorab in Kooperation mit dem Stadtarchiv in Pirmasens und der Gästeführerin Ute Jaquet-Wagner Führungen zum Thema „Jüdisches Leben in Pirmasens“ statt. „Der Rundgang durch Pirmasens hat gezeigt, wie nahe uns das Thema eigentlich ist,“ so eine Teilnehmerin.Außerdem arbeiteten die Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe anhand von Text- und Bildquellen zum Thema „Deportation nach Gurs“. Neben der Tagesexkursion nach Natzweiler-Struthof fand zudem eine weitere Tagesfahrt nach Straßburg statt, um den Bogen zum aktuellen jüdischen Leben zu spannen. Gemeinsam mit Karola Streppel besuchten sie die Große Synagoge. Im Unterricht wurden dann die Eindrücke nachbereitet und ausgewertet. 

„Für das Jahr 2024 ist in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes eine Fahrt zur Gedenkstätte Neue Bremm sowie zur Synagoge in Saarbrücken geplant,“ ergänzt Laura Hallauer, die gemeinsam mit Steffi Sieber das Projekt geleitet und durchgeführt hat. Steffi Sieber, Lehrerin für evangelische Religion am Kant, fügt hinzu:„Wir wollen durch die Empathie, die bei den Schülerinnen und Schülerin durch die Aufarbeitung dieser Einzelschicksale entsteht, erreichen, dass aus den bloßen Fakten und Zahlen der Geschichtsbücher menschliche Schicksale werden. Nur so können sie verstehen, dass Verallgemeinerungen wie „Juden“ oder „Ausländer“ menschenverachtend sind, da sie eine Vielzahl von unterschiedlichen Biografien über einen Kamm scheren und sich für die Menschen selbst nicht im Geringsten Interessieren. Ums geht es nicht nur um Aufarbeitung, sondern auch um Achtsamkeit und Resistenz gegen die verführerisch einfachen Lösungen rechtspopulistischer Kräfte in Deutschland zu machen.“

„Auftakt des Terrors – frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“

Am 13.10.2023 besuchte die evangelische Religionsgruppe der Jahrgangsstufe 10 zusammen mit ihren Lehrerinnen Frau Sieber und Frau Hallauer die Ausstellung „Auftakt des Terrors – frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“, die vom 22.09. bis 12.11.2023 im Alten Rathaus zu sehen ist. Unsere Schülerinnen konnten sich an 11 Stationen über die Rolle und Funktion der frühen Konzentrationslager informieren, wobei der Fokus auf Biographien von Verfolgten und Tätern lag. Diese zeigten eindrücklich, wie die Konzentrationslager in der frühen Phase zur Errichtung, aber auch zur Absicherungen der nationalsozialistischen Herrschaft beitrugen. 

Begleitet von Frau Wittmer und Herrn Felber vonseiten des Stadtarchivs haben zwei Schüler unserer Schule, Silas Kneis und Jan Philipp Ohr (beide MSS 13), als Peer Guides die Schülergruppe durch die Ausstellung geführt und bei der Bearbeitung der einzelnen Stationen unterstützt. Am Ende des Besuchs präsentierten unsere Schülerinnen die Ergebnisse ihrer Erarbeitungen im Plenum, sodass alle nach einer intensiven Auseinandersetzung in einer arbeitsteiligen Gruppenarbeitsphase an einzelnen Stationen einen Überblick über die gesamten Ausstellungsinhalte hatten. Als besonders nachhaltig erwies sich hierbei die Verknüpfung zur letzten Exkursion der Gruppe am Ende des letzten Schuljahres zum Thema „Jüdisches Leben in Pirmasens“.

L. Hallauer und S. Sieber

Auf den Spuren jüdischen Lebens – von Pirmasens nach Natzweiler und Straßburg

In der Woche vom 03.07. bis 07.07.23 fanden in Kooperation mit dem Stadtarchiv in Pirmasens täglich Führungen und Workshops für die Schüler*innen der Jahrgangsstufen 9 und 10 des Immanuel-Kant-Gymnasiums zum Thema „Jüdisches Leben in Pirmasens“ statt. Die Exkursionen begannen stets mit einem thematischen Stadtrundgang ausgehend vom Stelendenkmal am Hauptbahnhof: Die Klassen (begleitet von ihren Geschichts- und Religionslehrer*innen Frau Hallauer, Frau Sieber, Frau Singer und Herr Vehling) wurden von der ehrenamtlichen Gästeführerin und ehemaligen Elternsprecherin des IKGP, Ute Jaquet-Wagner, zu sechs der insgesamt 40 Stationen auf der Route durch das „jüdische Pirmasens“ geführt. So erhielten die Schüler*innen exemplarisch einen Einblick in das vergangene jüdische Leben der Stadt und die Schicksale der Bewohner. Als besonders eindrucksvoll empfanden die Schüler*innen hierbei die Verkettung von günstigen/ungünstigen Umständen, die das Leben positiv wie negativ beeinflussen konnten, und die Verbindung zwischen einzelnen Lebenswegen und Schicksalen.

Nach diesem Überblick wurden die Inhalte abhängig von dem Kenntnisstand der Jahrgangsstufe und der Zielsetzung der Veranstaltung im Ratssaal des Neuen Rathauses weiter vertieft: So arbeiteten die 10. Klassen Tag mit Peter Felber und Ute Jaquet-Wagner zum Thema Deportation nach Gurs. Die text- und bildgebundene Aufarbeitung des Lagerlebens dient hierbei auch als Vorbereitung für die Exkursion der Klassen zur Gedenkstätte Natzweiler-Struthof am 11.07.23. So entstanden fiktive Briefe mittels derer sich die Schüler*innen vertiefend mit der Geschichte der Deportierten auseinandersetzen (diese werden künftig in Auszügen auf der Website des Stadtarchivs veröffentlicht werden).

Unsere 9. Klassen lernten hingegen zunächst die Sütterlinschrift kennen und lesen, um daran anknüpfend in einer Quellenarbeit zum Leben ehemaliger jüdischer Schüler*innen zu recherchieren. 

Ein herzliches Dankschön an das Stadtarchiv Pirmasens für die fachkundige Aufbereitung und die schülernahe Gestaltung der Workshops! Die Veranstaltungen waren ein Gewinn für die Schüler*innen, die Kenntnisse aus dem Unterricht konnten so erweitert undvertieft werden.


Aufbauend zur Auseinandersetzung mit jüdischen Schicksalen vor Ort erfolgte am 11.07.23 der Besuch der Gedenkstätte in Natzweiler-Struthof, an der die 10. Jahrgangsstufe sowie der Leistungskurs Geschichte (MSS 12) teilnahmen. Vor Ort besuchten die Schüler*innen gemeinsam mit einer Lehrkraft die verschiedenen Stationen des ehemaligen Lagers, durch verlesene Auszüge von Berichten des ehemaligen Häftlings Berthold Barkels wurde hierbei einem Opfer exemplarisch eine Stimme gegeben. Dies machte die Geschichte für die Schüler*innen realer und greifbarer, was Viele die Schrecken des Nationalsozialismus in ihrer ganzen Tragweite begreifen lies. 

Die Arbeit am außerschulischen Lernort trägt somit zum Geschichts- aber auch Demokratieverständnis der Schüler*innen bei.

Am zweiten Exkursionstag (12.07.23) besuchten die Lerngruppen die Stadt Straßburg: Dort bot zunächst ein geschichtlicher Überblick auf einer Bootsfahrt die Möglichkeit die Stadt im Wandel der Zeit kennenzulernen. Hierbei stand besonders die NS-Zeit im Fokus, sodass sich Verknüpfungen zum ersten Exkursionstag ergaben. Zudem war es das Ziel durch den Besuch der Synagoge einerseits die Vergangenheit aus jüdischer Perspektive aufzuarbeiten, vor allem aber aktuelles jüdisches Leben kennenzulernen. So hatten die Schüler*innen die Möglichkeit, die Friedenssynagoge mit einem jüdischen Gemeindemitglied zu besuchen und anknüpfend an die Beschäftigung im Religions-/Ethikunterricht Fragen zur Religionsausübung zu stellen.

Ein großes Dankeschön geht in diesem Zusammenhang an Karola Streppel (Arbeitskreis „Geschichte der Juden in Pirmasens”), die diesen Besuch durch ihre persönlichen Kontakte ermöglichte.

L. Hallauer und S. Sieber